Die KI-Revolution in der Medizin

Dr. Daniel Betticher diskutiert die transformative Rolle künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen.

Auch in der Medizin findet die KI immer mehr Anwendungen. Spezifisch in der Krebsdiagnose, erzählt Dr. Daniel Betticher © Keystone / Frapp

Professor Dr. Daniel Betticher ist ehemaliger Leiter der Klinik für Innere Medizin am HFR und Leiter der Onkologie. Seit Januar 2022 ist er pensioniert, untätig ist er aber nicht: Unter anderem engagiert er sich als Präsident bei der Krebsliga Freiburg.

Dr. Betticher erzählt im Interview, wie die künstliche Intelligenz die Arbeit des Medizinalpersonals erleichert.

Herr Dr. Bettticher, wir sprechen heute über künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin. Wie geht die Medizin aktuell mit der KI um?

Daniel Betticher: Zunächst kann KI bei Ärztinnen und Ärzten ein Thema in der Weiterbildung oder schon in der Ausbildung der Studierenden sein. Wenn sie Patienten untersuchen, können sie KI nutzen, um sich vorzubereiten und Patientendaten gemeinsam zu analysieren. Nachdem der Arzt den Patienten untersucht hat, kann er Zeit sparen, indem die KI das Dossier vorbereitet. So hat er später mehr Zeit für den Patienten.

Ganz konkret: Wo kommt die KI heute schon zum Einsatz?

In der Krebsliga Freiburg nutzen wir die künstliche Intelligenz für das Brustkrebs-Früherkennungsprogramm. Frauen zwischen 50 und 75 ohne Beschwerden sollen alle zwei Jahre eine Mammografie machen lassen. Diese Mammografie wird von zwei Radiologen analysiert. Wenn diese beiden sich nicht einig sind, wird es zusammen mit anderen Radiologen betrachtet.

Heute schauen wir zusätzlich mit der KI hin. Eine klinische Studie hat gezeigt, dass wenn wir den zweiten Radiologen durch KI ersetzen, das Ergebnis dasselbe ist. Das bedeutet, es ist eine klare Unterstützung für den Radiologen. Noch kein Ersatz, aber heute eine Hilfe.

Die KI kommt heute schon in der Brustkrebs-Früherkennung zum Einsatz. (Symbolbild)

Was sind die Vorteile der KI?

Ein Vorteil ist klar, dass ein Arzt oder eine Ärztin Zeit spart, wenn er oder sie diese richtig einsetzt. Zeit sparen bedeutet, dass mehr Zeit am Patientenbett vorhanden ist. Sie können mehr Zeit dafür verwenden, dem Patienten die aktuelle Situation, zum Beispiel die Diagnose, zu erklären. Und das halte ich für einen grossen Vorteil. Und wenn man sie richtig einsetzt, erhöht sie sogar das Wissen des Arztes oder der Ärztin. 

Sie haben gesagt, die KI sei kein Ersatz, bietet aber Vorteile. Wieso kann sie das Personal nicht ersetzen?

Heute ist sie kein Ersatz, aber sie kann gegebenenfalls in Zukunft nicht nur Ärzte und Menschen in der Gesundheitsbranche, sondern auch Menschen in anderen Berufsgruppen ersetzen.

Ich denke, es ist eine intellektuelle Revolution.

Während der industriellen Revolution standen wir vor einer ähnlichen Frage: Gibt es die Möglichkeit, bestimmte Berufe zu ersetzen?

Was fehlt der KI noch, um wirklich gut zu sein?

Das Wissen, wie man sie korrekt anwendet. Künstliche Intelligenz bedeutet nicht nur Wissen, sondern auch die Anwendung dieses Wissens. Und das sind Programme, Algorithmen, die vorhanden sind und die jeden Tag besser werden.

Um zu wissen, was ein Patient oder eine Patientin hat, brauchen wir verschiedene Daten. Was können Sie zum Datenschutz sagen?

Es gibt ein bestimmtes Risiko, dass der Datenschutz nicht mehr gewährleistet ist, wenn man medizinisches Wissen eines Patienten in einen Computer einprogrammiert. Die ärztliche Schweigepflicht ist essenziell für eine gute Beziehung zwischen Arzt und Patient. Es ist daher wichtig, dass wir hier sehr streng sind und dass dieses Wissen entweder hochgradig anonymisiert weitergeben wird, oder, wenn es mit einem Namen verbunden ist, dass es geschützt ist.

Kann die KI punkto Empathie mit dem Ärztepersonal mithalten?

Vor zwei oder drei Jahren wurde eine Studie veröffentlichen, die Patienten miteinander verglichen hat, die eine bestimmte Frage hatten. Was soll ich tun, wenn ich mir den Finger verbrenne? Entweder hat der Arzt geantwortet oder die KI. Das wurde anonymisiert und dann wurde ein Expertengremium gefragt, welche der Antworten die besten seien.

Beide, jene des Arztes und die von der KI, waren korrekt. Die Antworten der KI aber haben den Experten das Gefühl gegeben, empathischer zu sein. 

Die KI ist nicht menschlich. Und doch wurde sie als besser empfunden.

Dies, weil sie längere und somit auch bessere und höflichere Antworten gab. Aber bis alles gesagt und gelesen wurde, hat es dann mehr Zeit benötigt.

Warum brauchen wir dann noch Ärzte?

Das haben Sie missverstanden. Sie zeigt nicht mehr Empathie, sie hat mehr Zeit, weil sie schneller arbeitet. Und sie hat keine Gefühle. Das bedeutet, der Patient kann nicht direkt das Empfinden der KI spüren. Sie ist einfach nur höflich und schreibt schöne Sätze. Nicht mehr. Der Arzt, der direkten Kontakt zum Patienten hat, passt sich in jeder Sekunde an. Dies kann künstliche Intelligenz heute noch nicht.

Hat das Ärztepersonal auch Angst vor der KI?

Es ist verständlich, Angst zu empfinden, wenn Veränderungen unseren Alltag betreffen. Künstliche Intelligenz wird den Alltag verändern, und der Wandel kann Angst machen. Dennoch ist es wichtig, stets neue Wege zu entwickeln, und KI wird uns dabei eine grosse Hilfe sein.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Ethik. Wie ethisch ist die Nutzung der KI?

Wem gehört das Wissen der Menschheit? Allen. Das bedeutet, dass all unsere Vorfahren das Wissen, das wir heute haben, mitentwickelt haben. Wenn wir Algorithmen entwickeln, die das gesamte Wissen enthalten, das ein menschliches Gehirn nicht in der Lage ist zu erfassen, wird natürlich die Frage gestellt, wem das Wissen der künstlichen Intelligenz gehört.

Ich glaube, es sollte so sein wie beim menschlichen Erbgut. Unsere Gene sind eine Sequenz von Nukleinsäuren. Als wir wussten, wie diese Sequenz in der Menschheit aussieht, kam die Frage auf, wem das Erbgut gehört. Und dann wurde bestimmt, es gehöre der Menschheit. Nicht irgendeiner Industrie. Klar, das Programm gehört der Industrie, aber das Wissen dahinter gehört der Menschheit.

RadioFr. / Frapp - Lauriane Schott / mdh
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